Krumbach an der Grenze 4 – am nördlichsten Punkt

Gottfried Tschöp:
Krumbach an der Grenze – Bericht über einen „ausgefallenen“ Grenzgang

Unsere Wanderung erreicht bei dem markanten Kulturdenkmal in der Nähe des Waldhauses den nordöstlichsten Punkt des Grenzgangs.

Die in einer Reihe stehenden Dreiherrensteine stellen auf dem Grenzgang entlang der ehemaligen Krumbacher Gemarkung die wichtigsten Zeugen für die im Laufe der Dorfgeschichte entstandene Grenzlage des nordöstlichsten Biebertaler Ortsteiles dar. Ihre zumeist noch gut lesbaren Initialen benennen zusammen mit vorhandenen Jahresangaben, welche Herrschaftsgebiete, Territorien, ja Staaten hier einmal zusammenstießen, wo heute lediglich die Gemeinden Lohra (Kirchvers) im Norden sowie Wettenberg (KrofdorfGleiberg) und Biebertal (Krumbach) im Westen aneinandergrenzen.

Abbildung 8: Die vier Dreiherrensteine von der
Krumbacher Seite

Historisch betrachtet sind die Dreiherrensteine auch ein sichtbares Relikt in unserer Gegend für die mit ihren
Spätfolgen bis in das 20. Jahrhundert spürbare deutsche Kleinstaaterei.

Dazu ein Rückblick mit den wesentlichen Stationen:
Als Anfang des 12. Jahrhunderts die Grafschaft Gleiberg, die als Keimzelle der nach der karolingischen Landnahme erfolgenden kontinuierlichen Besiedelung unseres Raumes gelten kann, erstmals geteilt wurde, fiel die Osthälfte mit der damaligen Wasserburg Gießen durch Heirat an die Pfalzgrafen von Tübingen und wurde 1264/5 an Hessen verkauft.
Die Westhälfte kam, wie schon weiter oben erwähnt, 1163 ebenfalls durch Heirat an die Familie der Merenberger und nach deren Aussterben 1333, wieder durch Heirat einer Erbtochter, an Johann von
Nassau-Weilburg.
Die Initialen „NW“ für die Zugehörigkeit des im Übrigen niemals für Siedlungszwecke gerodeten Gleiberger
Forstes markieren bis zum Ende des Alten Deutschen Kaiserreiches 1806 die Zugehörigkeit Krofdorf-Gleibergs zu Nassau-Weilburg. Dessen Besitz im Gebiet der heutigen Gemeinde Wettenberg fiel nach der Neuordnung der deutschen Territorien auf dem Wiener Kongress 1815 an das Königreich Preußen, das seine
Erwerbungen jeweils mit „KP“ markierte.

Noch komplizierter verläuft die territoriale Entwicklung nördlich und südlich der Dreiherrensteine. Kirchvers, das zum Amt Lohra gehörte, wird mit der allmählichen Verdrängung des mainzischen Einflusses durch Hessen ein Teil der 1263 vertraglich besiegelten Gründung der Landgrafschaft Hessen und bleibt, bis auf wenige Jahre zwischen 1806 und 1815 unter Napoleon, Bestandteil Hessens, zuletzt Hessen-Kassels.
Dafür stehen auf Grenzsteinen die Initialen „HC“ („Hessen-Cassel“; manchmal auch nur „Cassel“) und seit
Napoleon „KH“ für das rangerhöhte Kurfürstentum Hessen-Kassel.

Krumbach selbst war, wie wir schon wissen, seit 1358 durch die Einbindung in das Amt Blankenstein ebenfalls faktisch dauerhaft hessisch geworden, so dass man mit den Kirchverser Nachbarn zumindest bis zur Teilung der Landgrafschaft unter den legitimen Söhnen Philipps des Großmütigen 1657 einen gemeinsamen Landesherrn hatte.
Philipp hätte sich denken können, dass es unweigerlich Streit geben würde, wenn seine, wie in Fürstenkreisen üblich, als Familienbesitz betrachtete Landgrafschaft nicht zu gleichen Teilen unter alle vier Söhne aufgeteilt werden würde. „Niederhessen“ (Hessen-Kassel) erhielt jedoch mit der Hälfte den größten Erbteil, „Oberhessen“ (Hessen-Marburg) mit einem Viertel kam weniger gut weg, und für die beiden
restlichen Brüder fiel mit „HessenRheinfels“ (Taunusgebiet um die Loreley) und „Hessen-Darmstadt“ jeweils nur noch je ein Achtel ab.
Als bereits 1583 der Rheinfelser ohne Erben starb, gewann der Kasseler Landgraf sein Gebiet noch hinzu.

Auch in Oberhessen, dem Marburger Teilfürstentum, zu dem auch Krumbach und Kirchvers gehörten, stellte sich angesichts des kinderlosen Landgrafen Ludwig bald die Erbfrage. Vor seinem Tod
1604 verfügte er, dass sein Herrschaftsgebiet zu gleichen Teilen an die Kasseler und Darmstädter Linie fallen sollte. Gleichzeitig verlangte Ludwig jedoch testamentarisch, dass seine Territorien das überall in Hessen 1526 eingeführte evangelische, d.h. „lutherische“ Bekenntnis bewahren müssten.
Der Kasseler Landgraf, der mit einer calvinistischen Prinzessin aus dem Haus Oranien verheiratet war, trat jedoch zum reformierten Glauben seiner Ehefrau über, womit damals ein gleichzeitiger Bekenntniswechsel seines gesamten Herrschaftsgebietes verbunden war.
Diesen „Vertragsbruch“ nahm nun die Darmstädter Seite zum Anlass, um das gesamte Marburger Erbteil für sich zu beanspruchen.
Die Folge war ein Jahrzehnte dauernder „Bruderkrieg“ zwischen den beiden verbliebenen hessischen Linien: Im Dreißigjährigen Krieg ergriff der lutherische Darmstädter Landgraf Partei für die kaiserlichkatholische Seite, der protestantische Kasseler entsprechend für die evangelischantikaiserliche Gegenseite.
Das Ende dieses Ringens brachte 1648 dann dieses Ergebnis: Kassel erhielt ein Viertel von Hessen-Marburg mit der Stadt und dem späteren Landkreis (einschließlich Kirchvers),
Darmstadt konnte das nunmehr so genannte „Hinterland“ u.a. mit den Ämtern Königsberg und Blankenstein für sich behaupten.
Seitdem waren Krumbach, Kirchvers und Krofdorf-Gleiberg tatsächlich jeweils „Ausland“ füreinander.

Abbildung 9: Karte des Hinterlandes

Hessen-Darmstadt erfuhr 150 Jahre später, nach dem Ende des Alten Reiches 1803/6 unter Napoleon, ebenfalls eine Rangerhöhung, die Initialen „GH“ („Großherzogtum Hessen“) auf erhaltenen Grenzsteinen zeugen davon.
Vorher hat man seinen Besitz mit „HD“ oder auch nur „Darmst…(adt)“ markiert.

Abbildung 10: Grenzstein “HD” von 1777



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